Moviebase Strangers, The
Das junge Paar Kristen und James (Liv Tyler und Scott Speedman) kehrt spätabends von einer Hochzeitsfeier in das einsam gelegene Sommerhaus von James’ Familie zurück - die Stimmung ist nicht die beste, nachdem sein Heiratsantrag nicht auf die erhoffte Begeisterung stieß. Die gedrückte Atmosphäre wird von einer jungen Frau unterbrochen, die mitten in der Nacht an ihre Tür klopft; wenig später sind es insgesamt zwei Frauen und ein Mann, die offenbar schon in das Haus eingedrungen waren, die Telefone und schließlich auch James’ Auto unbrauchbar machen. Dann wird deutlich, dass sich die drei Fremden keineswegs nur einen Scherz mit Kristen und James erlauben wollen.
Dieses Setting erinnert überdeutlich an Michael Hanekes inzwischen gedoppelten Schocker „Funny Games“, „The Strangers“ funktioniert aber auf ganz andere Weise und mit sichtbar anderen Zielen. Während Hanekes Filme eine Auseinandersetzung mit Gewalt (nicht nur im Film), gesellschaftlichen Konventionen und beider Mechanismen darstellen, die schwer zu ertragen ist, weil sie zu sehr unter die Haut geht, ist der bemerkenswerte Erstling von Bryan Bertino, der auch das Drehbuch verfasst hat, zwar ein geradliniger und effektiver Thriller, eine gesellschaftskritische Haltung muss man darin aber nicht unbedingt suchen.
Bertinos Film ist ein in Handlung und Ort äußerst reduzierter Film - ein Kammerspiel, dessen Handlung sich, mit der Ausnahme kurzer Rückblenden, ausschließlich in dem kleinen Sommerhaus und seiner unmittelbaren Umgebung abspielt. Die Versteckspielchen, die sich zwischen dem Paar und den drei Fremden abspielen, werden so für den Zuschauer zumindest in ihrer Raumverteilung völlig klar; „The Strangers“ kann sich umso mehr darauf konzentrieren, mit letzten Endes sehr einfachen Mitteln Spannung und Schrecken zu erzeugen. Dass dabei zunächst kaum etwas wirklich Erschreckendes passiert - bis kurz vor Schluss fließt nur einmal wirklich Blut -, zeigt nur, wie gut Bertino sein Handwerkszeug beherrscht. Er bedient sich zum Beispiel, ganz alte Schule, gerne tiefer Töne, die sich direkt auf Zwerchfell und Bauchraum legen, um Bedrohung zu suggerieren.
Noch besser beherrscht er aber den Umgang mit der Kamera. Der ganze Film ist mit Handkamera gedreht, und die immer in Bewegung befindliche Perspektive verstärkt nicht nur das unterschwellige Gefühl der Unruhe, das den ganzen Film durchzieht; sie suggeriert auch mehr als einmal, den Blickpunkt eines der Fremden einzunehmen, ohne dass diese Vermutung je bestätigt würde. Das trägt zur Verunsicherung über den jeweiligen Aufenthaltsort der Maskierten noch weiter bei; Bertino lässt sie in Licht und Schatten auftauchen und wieder verschwinden. Ungeheuerlich und ungeheuer wirksam ist jene Szene, in der Liv Tylers Kristen am rechten Bildrand zu sehen ist, während das erste Mal einer der Maskierten auftaucht - leise tritt er am linken Bildrand aus dem Schatten und bleibt dort einfach stehen, ohne etwas zu tun. Als Kristen sich umdreht, ist er schon wieder verschwunden, ein kurzer Schnitt im Film genügt.
So schweigsam sich der Fremde hier verhält, so schweigsam bleiben er und seine Mitmaskierten während des ganzen Films. Ihre Motive werden ebenso wenig verhandelt wie die bedrohliche Macht des gesprochenen Wortes. „The Strangers“ ist ganz Film und dabei ein Lehrstück darüber, wie Film funktionieren kann, ohne viel zu zeigen, ohne geschwätzig oder actionlastig zu sein. Dass eine der maskierten Frauen von dem Model Gemma Ward gespielt wird, entbehrt nicht einer gewissen ironischen Haltung zur Rolle der Models in unserer Kultur und unterstreicht Bertinos Willen zur Reduktion noch: Andere Regisseure hätten ihr schönes Gesicht vielleicht in den Vordergrund geschoben, in „The Strangers“ ist es praktisch nie zu sehen.
Ohne die beiden Stars in den Hauptrollen wäre Bertinos Erstling wahrscheinlich nicht zu jenem Überraschungserfolg in den USA geworden, der er heute ist. Tyler und Speedman geben dem Film aber nicht nur die Zugkraft ihrer Reputation, sondern füllen ihre Rollen auch mit jener Komplexität und Tiefe, die die äußere Handlung des Streifens bewusst und konsequent vermeidet; das geht weit über die Darstellung eines nur verschreckten Paares hinaus. Wenn man dann bei „The Strangers“ doch etwas vermisst, so ist es zweierlei: Zum einen, dass der Film dem Genre neben der handwerklich perfekten Umsetzung nichts auch inhaltlich Neues hinzufügt; zum anderen, dass der Film aus seiner selbst gesteckten Beschränkung nie heraustritt und über sich selbst hinausweist. Denn im Ansatz deutet er in seinen letzten Szenen durchaus an, dass er gesellschaftlich etwas zu sagen hätte; was das genau sein könnte, enthält er uns leider vor.
>> verfasst von Rochus Wolff