Ma – Interview mit Tate Taylor über seinen Psycho-Thriller mit Octavia Spencer als Rächerin

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Wer hätte gedacht, dass sich Oscar-Gewinnerin Octavia Spencer als Horror-Fanatikerin entpuppt? Mit dem von Blumhouse produzierten Ma geht für die bald 47-jährige Amerikanerin ein echter Traum in Erfüllung. Der Horror-Thriller zeigt sie in der Rolle einer gebrochenen Frau, die immer noch unter vergangenen Ereignissen aus ihrer Jugend leidet. Als sich eines Tages die Chance ergibt, es ihren ehemaligen Mobbern heimzuzahlen, gerät die Situation völlig außer Kontrolle, was ihre Sue Ann zur mörderischen Gefahr für ihr gesamtes Umfeld macht. Navigiert wurde Spencer von Regisseur Tate Taylor, Schöpfer des umjubelten Dramas The Help, das Octavia Spencer einen Oscar einbrachte. Passend zum aktuellen Kinostart haben wir ihn ausführlich zu seinem neuen Werk befragt und unter anderem herausgefunden, wieso er unbedingt einen Film über Mobbing machen und auf gar keinen Fall eine gewöhnliche Psychopathin ohne Motivation kreieren wollte.

Tate, wir hatten ja keine Ahnung, dass Octavia Spencer so teuflisch sein kann. Wie herausfordernd war es, diese dunkle Seite aus ihr herauszukitzeln?

Nicht wirklich herausfordernd. Wir kennen uns mittlerweile seit etwa 25 Jahren und haben 7 davon sogar zusammen gelebt. Sie hatte schon immer eine Faszination für kriminelle Charaktere und Serienkiller. Sie ließ kaum eine Gelegenheit aus, mir zu sagen, wie gerne sie selbst eines Tages eine verrückte Person spielen würde. Daher war es nicht notwendig, es aus ihr herauszukitzeln – ganz im Gegenteil. Ich musste eher schauen, dass sie es nicht übertreibt. (lacht)

Ma ist keine typische Antagonistin und handelt aus Wut und Enttäuschung. Was faszinierte dich daran, die Psyche einer gebrochenen Frau zu erforschen, die aufgrund von Mobbing auf die schiefe Bahn geriet?

Es hat mir eine Menge Spaß bereitet, das zusammen mit Octavia Spencer zu erkunden und gemeinsam herauszufinden, was Ma gegen diese Gefühle tut. Ihre Psyche ist stark geschädigt. Für den Zuschauer ist es wichtig, dass er mit ihr leidet und nachvollziehen kann, wieso sie tut was sie eben tut. Octavia und ich haben sehr präzise daran gearbeitet und eine Figur kreiert, die missbraucht wurde und immer wieder aufs Neue enttäuscht wird, was dann schließlich ihre Entscheidungen beeinflusst.

Das Thema Mobbing wird im Film groß aufgerollt. Oft hört man, dass man nur die Schulzeit überstehen muss und anschließend alles besser wird. Der Film zeigt jedoch die bittere Realität, dass man überall und jederzeit gemobbt werden kann. War das der Grundreiz für dich; zu zeigen, welchen psychischen Schaden Mobbing tatsächlich verursachen und wie sehr sich dieser auf das Umfeld auswirken kann?

Absolut! Als ich das Drehbuch in die Finger bekam, gab es keinerlei Hintergrundgeschichte für Sue Ann. Sie war einfach nur eine verrückte Frau. Für mich war es daher die perfekte Gelegenheit, das Thema in die Story zu integrieren. Wie du gesagt hast; es passiert überall auf der Welt. Menschen werden aufgrund ihrer Vergangenheit daran gehindert, nach vorne zu schauen. Nicht jeder wird berühmt und kann seine Geschehnisse einfach so verarbeiten. Unser Film fungiert als eine Art Lektion. Wenn wir Menschen schlecht behandeln – insbesondere dann, wenn wir uns noch in Entwicklung befinden –, kann das negative Auswirkungen auf das Wesen haben. Mir war es sehr wichtig zu zeigen, wie prägend das sein kann. Und auch, dass man als Zuschauer handeln müsste. Erica, die von Juliette Lewis verkörpert wird, hat alles mitangesehen und hätte damals einiges verhindern können. Aber sie hat sich dafür entschieden, einfach zuzusehen und nichts zu tun, was sie genauso schuldig macht wie die eigentlichen Täter.

Die Begegnung mit Ma hat unangenehme Folgen. ©Universal

Wenn man an Hollywood Psychopathen denkt, fallen einem fast nur männliche Kandidaten wie Norman Bates, Jack Torrance oder Michael Myers ein. Weibliche Verrückte wie Annie Wilkes scheinen eher die Ausnahme zu sein. Zufall?

Die genaue Antwort auf diese Frage kenne ich nicht. Aber Kinogänger, die sich Filme wie „Ma“ ansehen, haben in der Regel ein bestimmtes Alter und sind überwiegend männlich. Zumindest schien es in der Vergangenheit so zu sein. Aber inzwischen haben sich in Hollywood einige Türen für Frauen und farbige Frauen geöffnet. Es hat sich in letzter Zeit oft bestätigt, dass auch weibliche Filmbegeisterte an solchen Streifen interessiert sind und sich als großartige Unterstützer herausstellen können. Hollywood hat 2011 viel vom Erfolg von „Brautalarm“ gelernt. Die Komödie war sehr erwachsen und bot starke Frauen, die furchtbare Dinge anstellen. Der Grund, wieso mittlerweile immer mehr solcher Filme folgen, ist der, dass das Potenzial des Publikums schwer unterschätzt wurde.

Wenn es um Horror geht, führt kein Weg an Jason Blum vorbei. Wie kam die Zusammenarbeit zwischen ihm und dir zustande?

Jason und ich sind Freunde. Wir kennen uns schon seit Jahren. Er arbeitet oft auch an Projekten, die mit Horror nichts am Hut haben. Er interessiert sich nämlich auch für andere Sparten und dramatische Kost. Eines Tages haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was wir gemeinsam auf die Beine stellen könnten oder was für mich in Frage käme. Das Treffen fand in seinem Büro statt, wo er mir die Frage gestellt hat, was ich denn gerne machen möchte. Ich sagte dann: „Irgendetwas Abgefahrenes!“ Er konnte meine Antwort nicht fassen, aber ich habe ihm klargemacht, dass ich unbedingt einen Genrefilm inszenieren will. Und so kam der Ball ins Rollen.

Könntest du dir denn vorstellen, mehr Genrefilme zu machen und vielleicht sogar das Übersinnliche zu erforschen?

Ich bin für alles zu haben, solange Charaktere und Geschichte interessant sind. „Ma“ war für mich deshalb spannend, weil ich eine komplette Hintergrundgeschichte für Sue Ann erfinden und ihr Trauma beleuchten konnte. Daher könnte ich es mir sehr wohl vorstellen, auch mal einen reinrassigen Horrorfilm zu drehen. Vor allem deshalb, weil sich meine bisherigen Filme komplett voneinander unterscheiden.

Ma (Octavia Spencer) hat Böses im Sinn. ©Universal

Das stimmt. Wenn man einen Blick auf deine Filmografie wirft, ist kein Muster zu erkennen. Wie konntest du dem sogenannten Typecasting entfliehen? Immerhin klagen viele Filmemacher, nach einem erfolgreichen Film nur ähnliche Projekte angeboten zu bekommen.

Ehrlich gesagt war es auch für mich sehr schwierig, nach „The Help“ etwas völlig Neues auszuprobieren. Es hat zwei volle Jahre gedauert, bis man mir endlich einen Film absegnete, der sich nicht um kranke Frauen oder Rassismus dreht. Aber ich bin hart geblieben und habe alle Angebote in diese Richtung konsequent abgelehnt.

Du hast sogar schon dein nächstes Projekt in der Nachbearbeitungsphase, das ebenfalls eine ganz andere Richtung einzuschlagen scheint. Was dürfen wir von „Eve“ erwarten?

Es ist ein Actionfilm oder besser gesagt ein Action-Familiendrama. Der Film wird also ein Genre-Hybrid und richtig cool. Ich habe ihn zusammen mit Jessica Chastain, Colin Farrell und John Malkovich in den Hauptrollen gemacht. Es geht um eine Auftragsmörderin, die nach Hause zurückkehrt, um sich um diverse Familienangelegenheiten zu kümmern. Sie will sich von ihrem brutalen Alltag eine Pause gönnen, was aber nicht ganz so einfach ist, wie sie sich das eventuell vorgestellt hat.

Geschrieben am 31.05.2019 von Carmine Carpenito
Kategorie(n): Ma, News